Beiträge

The breakdown of an airport´s refueling system constitutes extraordinary circumstances

Betankungssystemausfall am Flughafen als außergewöhnlicher Umstand

Am 7. Juli 2022 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass der Ausfall des Betankungssystems eines Flughafens einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) 261/2004 darstellt (Rechtssache C-308/21).

In seiner Urteilsbegründung wies der EuGH erneut auf die Kriterien hin, die er für außergewöhnliche Umstände für maßgeblich hält: Die eingetretenen Ereignisse dürfen nicht mit der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens zusammenhängen und müssen sich der tatsächlichen Kontrolle des Luftfahrtunternehmens entziehen.

Zum ersten Kriterium stellte der EuGH fest, dass Betankungsvorgänge grundsätzlich in den Bereich der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens fallen und dass daher ein technisches Problem, das während der Betankung auftritt, nicht geeignet wäre, einen außergewöhnlichen Umstand darzustellen. Ein allgemeines Versagen des vom Flughafen betriebenen Betankungssystems ist jedoch anders zu behandeln als ein technisches Problem, das sich naturgemäß auf ein einzelnes Flugzeug beschränkt. Daher kam der EuGH zu dem Schluss, dass derartige allgemeine Störungen des Betankungssystems nicht mit der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens einhergehen.

In Bezug auf das zweite Kriterium betonte der EuGH erneut die Bedeutung der Unterscheidung zwischen „internen“ und „externen“ Ereignissen, wobei nur „externe“ Ereignisse als außerhalb der tatsächlichen Kontrolle des Luftfahrtunternehmens liegend angesehen werden. Wenn also das Betankungssystem auf einem Flughafen von diesem Flughafen oder einem Dritten betrieben wird, wird ein allgemeiner Ausfall dieses Systems als außerhalb des Einflussbereichs des Luftfahrtunternehmens liegend angesehen.

Da beide Kriterien für außergewöhnliche Umstände erfüllt sind, hat der EuGH entschieden, dass der allgemeine Ausfall des Betankungssystems eines Flughafens einen außergewöhnlichen Umstand darstellt. Daher ist das betreffende Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, den Fluggästen eine Entschädigung zu zahlen, sofern alle angemessenen Maßnahmen ergriffen wurden.

Für Fragen zu Passenger Claims in Österreich steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.

Strikes because of an authority´s decision constitute extraordinary circumstances

Streiks aufgrund der Entscheidung einer Behörde stellen außergewöhnliche Umstände dar

Am 30. Juni 2022 hat das Bezirksgericht Schwechat in drei von uns betreuten Fällen entschieden, dass Streiks einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, wenn der Grund für die Streiks eine behördliche Entscheidung ist. Das Gericht argumentiert, dass solche Streiks, die auf Forderungen beruhen, die nur von Behörden (und nicht von der Fluglinie selbst) erfüllt werden können, außerhalb des Einflussbereichs der Fluglinie liegen. In den vorliegenden Fällen streikten nicht die Mitarbeiter der Fluggesellschaft, sondern das Bodenpersonal und störten damit den normalen Betrieb.

Diese Urteile stehen im Einklang mit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-28/20, in dem der EuGH feststellte: “ Liegen einem solchen Streik jedoch Forderungen zugrunde, die nur von staatlichen Stellen erfüllt werden können und die daher für das betroffene Luftfahrtunternehmen nicht tatsächlich beherrschbar sind, so kann es sich dabei um einen „außergewöhnlichen Umstand“ […]“.

Daher sind die Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen zu leisten (Art. 7 der Verordnung (EG)261/2004), wenn Flüge aufgrund solcher Streiks annulliert werden oder sich erheblich verspäten, sofern alle angemessenen Maßnahmen in diesem Zusammenhang getroffen werden.

Für Fragen zu Passenger Claims in Österreich steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.

JusProfi Podcast

JusProfi Podcast mit Dominik Leiter

In Folge 33 des beliebten JusProfi Podcasts wurde unser Partner Dominik Leiter interviewt.

Für alle Interessierten ist die Folge unter dem folgenden Link abrufbar: https://www.jusprofi.at/podcast/folge-33-unangepasst-kreativ-menschlich-mag-dominik-leiter-ll-m/

Stopovers and the Regulation 261/2004

Zwischenstopps und die Verordnung (EG) 261/2004

Im Februar 2022 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zwei Entscheidungen zur Relevanz von Zwischenlandungen im Zusammenhang mit der Zuständigkeit (C-20/21) und zum Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 261/2004 (C-451/20) getroffen.

In der Rechtssache C-20/21 buchte ein Fluggast einen Flug von Warschau nach Male mit einer Zwischenlandung in Frankfurt (Einzelbuchung). Der erste Flugabschnitt (von Warschau nach Frankfurt) war verspätet, so dass der Fluggast den zweiten Flugabschnitt (von Frankfurt nach Male) verpasste. Daraufhin verklagte der Fluggast die Fluggesellschaft in Frankfurt.

Der EuGH entschied, dass das Gericht in Frankfurt unzuständig ist, da Frankfurt aufgrund der bloßen Zwischenlandung nicht als „Erfüllungsort“ anzusehen ist, der zur Begründung der Zuständigkeit erforderlich wäre.

In der Rechtssache C-451/20 buchte ein Fluggast einen Flug von Chişinău (Moldawien) nach Bangkok mit Zwischenstopp in Wien (Einzelbuchung). Der erste Flugabschnitt (von Chişinău nach Wien) wurde weniger als sieben Tage vor dem geplanten Abflug storniert und der Fluggast wurde auf einen Flug von Chişinău nach Bangkok mit Zwischenstopp in Istanbul umgebucht. Der Fluggast verklagte daraufhin die Fluggesellschaft in Schwechat (zuständiges Gericht für den Flughafen Wien).

Der EuGH entschied, dass die Verordnung (EG) 261/2004 in diesem Fall nicht anwendbar ist, da sich sowohl der Abflug- als auch der Ankunftsort außerhalb der Europäischen Union befinden. Die Tatsache, dass die geplante Zwischenlandung in Wien innerhalb der Europäischen Union liegt, führt nicht dazu, dass dieser Fall in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt.

Nebenbei bemerkt: In der Rechtssache C-559/16 hat der EuGH bereits klargestellt, dass sich die in Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EG) 261/2004 genannte Entfernung auf die zwischen dem ersten Abflugort und dem endgültigen Bestimmungsort berechnete Entfernung bezieht. Zwischenlandungen sind daher auch in dieser Hinsicht nach Ansicht des EuGH nicht von Bedeutung.

Für Fragen zu Passenger Claims in Österreich steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.

New place of jurisdiction for passenger claims in Austria

Neuer Gerichtsstand für Passagieransprüche in Österreich

Seit dem 1. Mai 2022 sieht das österreichische Recht einen neuen Gerichtsstand für Passagieransprüche in Österreich vor, welcher auf Verordnung 261/2004 basiert.

Gemäß dem neuen § 101a der österreichischen Jurisdiktionsnorm kann ein Passagier ein Verfahren auch vor dem Gericht einleiten, in dessen Zuständigkeitsbereich der jeweilige Ankunfts- oder Abflugort des Fluges liegt.

Der neue Gerichtsstand für Passagieransprüche ist anwendbar in Fällen, in denen die Brüssel I-Verordnung (neue Fassung) nicht zur Anwendung kommt (zB wenn das Luftfahrtunternehmen außerhalb der EU ansässig ist) und zielt darauf ab, eine gleichwertige Behandlung solcher Luftfahrtunternehmen und derjenigen, die in einem Mitgliedstaat der EU ansässig sind, zu gewährleisten. Bislang konnten Passagiere in vielen Fällen kein Verfahren gegen ein Luftfahrtunternehmen mit Sitz außerhalb der EU einleiten, es sei denn, der österreichische Oberste Gerichtshof entschied, dass die Einleitung eines Verfahrens am Sitz des Luftfahrtunternehmens eine unzumutbare Belastung für den jeweiligen Passagier darstellen würde.

Für Fragen zu Passenger Claims in Österreich steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.

Changes of scheduled departure times as cancellations

Änderungen der geplanten Abflugzeiten als Annullierungen

Am 21. Dezember 2021 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) zwei Entscheidungen zur Frage, ob und unter welchen Umständen Änderungen der geplanten Abflugzeiten als Annullierungen im Sinne des Artikel 5 der Verordnung 261/2004 gelten.

Im Fall C-395/20 wurde ein Flug von Düsseldorf nach Antalya, der ursprünglich für 13:20 Uhr geplant war, auf 16:10 Uhr verschoben. Da die Abflugzeit um weniger als drei Stunden verschoben wurde, entschied der EuGH, dass der Flug nicht als annulliert angesehen werden muss.

Im Fall C-263/20 wurde ein Flug von Palma de Mallorca nach Wien, der ursprünglich für 14:40 Uhr geplant war, auf 08:25 Uhr vorverlegt. Der EuGH entschied, dass der Flug als annulliert gelten muss (mit den Folgen, die in den Artikeln 7, 8 und 9 der Verordnung 261/2004 festgelegt sind), da die Abflugzeit um mehr als eine Stunde vorverlegt wurde.

Nebenbei merkte der EuGH an, dass es für eine Fluggesellschaft nicht ausreicht, lediglich den Vermittler, über den der Flug gebucht wurde, zwei Wochen im Voraus über die Änderungen der geplanten Abflugzeiten zu informieren, um Artikel 5 (1) (c) (i) der Verordnung 261/2004 zu entsprechen und eine Ausgleichsleistungspflicht zu vermeiden – selbst, wenn die Kontaktdaten des Passagiers der Fluggesellschaft nicht mitgeteilt wurden.

Für Fragen zu Passenger Claims in Österreich steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.

Compensation payments must be deducted

Zahlungen von Ausgleichsleistungen müssen abgezogen werden

In einem seiner seltenen Urteile bezüglich der Verordnung 261/2004 entschied der österreichische Oberste Gerichtshof im Fall 4 Ob 177/21i, dass Zahlungen von Ausgleichsleistungen, die eine Fluggesellschaft an einen Passagier gemäß Artikel 7 der Verordnung geleistet hat, von weiteren Ansprüchen auf immaterielle und materielle Schäden, die der Passagier geltend macht, abgezogen werden müssen .

Während die Verordnung bestimmte Passagierrechte festlegt (Art. 7: Entschädigung, Art. 8: Ticketkostenrückerstattung oder Umbuchung, Art. 9: Betreuung), müssen andere Ansprüche, die ein Passagier geltend machen kann (z. B. Schadenersatz für eine Hotelbuchung oder einen Mietwagen, den er nicht nutzen konnte), auf nationalem Recht basieren.

Im vorliegenden Fall behauptete der Passagier, dass die Zahlungen von Ausgleichsleistungen lediglich dazu dienen, ihn für die Unannehmlichkeiten im Zusammenhang mit einer verweigerten Beförderung, einer Annullierung oder einer großen Verspätung zu entschädigen und daher nur von immateriellen Schäden abgezogen werden dürfen. Der österreichische Oberste Gerichtshof stellte jedoch klar, dass in solchen Fällen die Ausgleichsleistung auch von materiellen Schäden wie Ausgaben für eine Hotelbuchung oder einen Mietwagen abgezogen werden muss.

Für Fragen zu Passenger Claims in Österreich steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.

Auf dem Weg zu einem österreichischen Lieferkettengesetz?

Auf dem Weg zu einem österreichischen Lieferkettengesetz?

Es hat auch unter heimischen Unternehmen für Aufsehen gesorgt, als der deutsche Bundestag am 11. Juni 2021 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, oft einfach „Lieferkettengesetz“ genannt, beschloss. Durch dieses Gesetz sollen nämlich ab 1.1.2023 deutsche Unternehmen mit über 3.000 bzw. ab 1.1.2024 ab 1.000 ArbeitnehmerInnen verpflichtet werden, auf die Einhaltung bestimmter Menschenrechtsstandards bzw. Umweltschutzvorschriften in ihren Lieferketten zu achten. Es muss somit nicht nur darauf geachtet werden, dass diese Standards, wozu im Übrigen auch die Einhaltung des lokalen Arbeitsrechts zählt, im eigenen Unternehmen eingehalten werden, sondern auch bei den Zulieferern.

Einige haben bereits geahnt, dass durch das deutsche Lieferkettengesetz auch österreichische Unternehmen in die Pflicht genommen werden könnten, und zwar wenn deutsche Unternehmen versuchen, ihre Verpflichtungen auf die unmittelbaren (österreichischen) Zulieferer zu übertragen, die dann wiederum auf deren Zulieferer achten müssen.

Doch nun folgte Ende Februar ein Vorstoß der EU-Kommission: es wurde ein Entwurf einer Richtlinie über Nachhaltigkeit veröffentlicht, die sehr an das deutsche Lieferkettengesetz erinnert und daher in der Folge kurz „Lieferkettenrichtlinie“ genannt werden soll.

Der Entwurf einer Lieferkettenrichtlinie

Im Kern geht es bei diesem Entwurf darum, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden sollen, nationale Regelungen zu erlassen, die gewisse Sorgfaltspflichten für Unternehmen bezüglich ihrer Lieferketten enthalten. So sollen die betroffenen Unternehmen etwa eine Lieferketten-Sorgfaltspflicht in ihre Unternehmenspolitik einführen, die (tatsächlichen und potenziellen) nachteiligen Auswirkungen der Aktivitäten des Unternehmens auf Menschenrechte und Umwelt beenden bzw. minimieren und die Wirksamkeit ihrer Sorgfaltspflichtpolitik bzw. -maßnahmen überwachen.

Kurzum: es kommt einiges auf die betroffenen Unternehmen zu. Und das könnten gar nicht so wenige sein – der Anwendungsbereich soll nämlich deutlich größer werden als jener des deutschen Lieferkettengesetzes. So sollen nach dem Entwurf der EU-Kommission bereits Unternehmen ab 500 ArbeitnehmerInnen und einem weltweiten Umsatz von mehr als EUR 150 Mio. bzw. Unternehmen in „Risikobranchen“ ab 250 ArbeitnehmerInnen und einem weltweiten Umsatz von mehr als EUR 40 Mio. betroffen sein.

Es wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis aus diesem Entwurf eine EU-Richtlinie wird und bis diese Richtlinie dann in österreichisches Recht umgesetzt ist – man denke hier etwa nur an die noch immer schleppende Umsetzung der Whistleblower Richtlinie. Doch eines ist klar: der Grundstein für ein österreichisches Lieferkettengesetz wurde bereits gelegt.

Payments to the credit card accound are not sufficient

Zahlungen auf das Kreditkartenkonto sind nicht ausreichend

Das Landesgericht Korneuburg entschied in den Fällen 22 R 171/21h, 22 R 196/21k und 22 R 210/21v , dass Artikel 7 (3) der Verordnung 261/2004 zwar grundsätzlich keine Zahlungen auf das Kreditkartenkonto eines Passagiers verbietet, jedoch gemäß dem anwendbaren nationalen Recht geprüft werden muss, ob solche Zahlungen eine Fluggesellschaft von ihrer Zahlungsverpflichtung befreien.

Falls österreichisches Recht anwendbar ist, sind Zahlungen auf das Kreditkartenkonto, das ein Passagier zur Bezahlung seiner Tickets verwendet hat, nicht ausreichend, damit eine Fluggesellschaft ihren Verpflichtungen nachkommt (hauptsächlich im Zusammenhang mit einer Ticketkostenrückerstattung oder einer Entschädigungszahlung). Das Landesgericht argumentierte, dass nur Zahlungen auf ein Konto, das der Passagier der Fluggesellschaft für Erstattungszwecke mitgeteilt hat, als ausreichend angesehen werden, um die Fluggesellschaft von ihrer Zahlungsverpflichtung zu befreien.

Diese Urteile haben insbesondere Auswirkungen auf Fälle, in denen unklar ist, ob ein Passagier bereits eine Zahlung erhalten hat oder wann genau er/sie diese erhalten hat. Um diesen Urteilen zu entsprechen, wäre es ratsam, entweder Passagiere während des Antrags auf Erstattung dazu aufzufordern, das gewünschte Konto anzugeben oder den jeweiligen Passagier vor der Zahlungsdurchführung zu kontaktieren.

Für Fragen zu Passenger Claims in Österreich steht Ihnen unser erfahrenes Aviation Team gerne zur Verfügung.

Beginn des besonderen Kündigungsschutzes bei begünstigten Behinderten

Beginn des besonderen Kündigungsschutzes bei begünstigten Behinderten (9 ObA 80/21m)

In seinem Urteil vom 28.7.2021 (9 ObA 80/21m) hatte sich der Oberste Gerichtshof mit folgender Frage auseinanderzusetzen: Sind die besonderen Kündigungsschutzbestimmungen für begünstigte Behinderte auch dann zu beachten, wenn der Antrag auf Zuerkennung der Behinderteneigenschaft erst kurz nach der Kündigung aber noch am selben Tag gestellt wird?

Die für viele doch etwas überraschende Antwort: Ja, die Kündigungsbestimmungen sind zu beachten.

Und diese Antwort hat durchaus praktische Folgen. Arbeitnehmer, die möglicherweise zum Kreis der begünstigten Behinderten gehören, aber noch keine diesbezügliche Feststellung erwirkt haben, können damit nämlich auch nach der Kündigung durch die Arbeitgeberin einen entsprechenden Antrag stellen, um so eine Weiterbeschäftigung zu erreichen. Aus Arbeitgebersicht besteht somit generell bei möglicherweise begünstigt behinderten Arbeitnehmerinnen eine nicht unmaßgebliche Unsicherheit, ob eine ausgesprochene Kündigung tatsächlich wirksam ist.

Zur besseren Einordnung dieser Entscheidung möchten wir in der Folge kurz die Rechtslage im Zusammenhang mit der Kündigung von begünstigt behinderten Arbeitnehmern darstellen:

Besonderer Kündigungsschutz

Grundsätzlich können Arbeitsverhältnisse nach österreichischem Recht (anders als etwa in Deutschland) grundlos und ohne Involvierung externer Stellen gekündigt werden. Dass eine erfolgreiche Kündigung in der Praxis vor allem aufgrund der Möglichkeit der „Anfechtung wegen Sozialwidrigkeit“ oft trotzdem gar nicht so einfach ist, wissen viele Arbeitgeber aus Erfahrung.

Handelt es sich bei dem betroffenen Arbeitnehmer allerdings um einen begünstigten Behinderten, ist es unter Umständen erforderlich, dass die Arbeitgeberin vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Behindertenausschusses einholt. Ohne diese Zustimmung ausgesprochene Kündigungen sind nicht nur anfechtbar, sondern rechtsunwirksam.

Fälle, in denen die Zustimmung des Behindertenausschusses eingeholt werden muss

Bei bis zum 31.12.2010 abgeschlossenen Arbeitsverhältnissen ist die Rechtslage noch recht einfach: von Ausnahmefällen abgesehen, ist die Zustimmung des Behindertenausschusses vor Ausspruch einer Kündigung stets einzuholen, wenn das Arbeitsverhältnis zumindest 6 Monate gedauert hat.

Bei seit 1.1.2011 abgeschlossenen Arbeitsverhältnissen ist die Rechtslage schon etwas komplizierter:

Wenn die Behinderteneigenschaft bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses festgestellt war, muss die Zustimmung des Behindertenausschusses erst eingeholt werden, wenn das Arbeitsverhältnis zumindest 4 Jahre gedauert hat.

Wenn die Behinderteneigenschaft erst im Laufe des Arbeitsverhältnisses festgestellt wird, ist eine Zustimmung des Behindertenausschusses erforderlich, es sei denn die Kündigung wird innerhalb der ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen. Hier gibt es wiederum eine Ausnahme von der Ausnahme: wenn die Behinderteneigenschaft aufgrund eines Arbeitsunfalls festgestellt wurde, kommt diese Frist von 6 Monaten nicht zur Anwendung, die Arbeitnehmerin ist also bereits früher geschützt.

Übrigens kann in Ausnahmefällen die Zustimmung des Behindertenausschusses (unabhängig vom Beginn des Arbeitsverhältnisses) auch nach Ausspruch der Kündigung eingeholt werden, und zwar wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Ausspruches nicht wusste und auch nicht wissen musste, dass die Arbeitnehmerin zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gehört.

Beginn des besonderen Kündigungsschutzes

Die Zuerkennung des Status als begünstigter Behinderter erfolgt durch die zuständige Landesstelle des Sozialministeriumservice per Feststellungsbescheid. Wirksam wird die Zuerkennung aber nicht erst mit Ausstellung des Bescheids, sondern rückwirkend mit dem Tag des Einlangens des Antrags. Und zwar mit Beginn dieses Tages, wie wir seit 9 ObA 80/21m wissen.